Erklärung der SiedlungsbewohnerInnen

zur gemeinsamen Verantwortung für die Autofreiheit

Beschlossen auf der Mitgliederversammlung und der Nachbarschaftsversammlung am 26. Mai 2002

Wir sind so frei - Leben in der autofreien Siedlung Weißenburg
Seit Ende 2001 leben zunächst etwa 200, später etwa 500 Menschen in der autofreien Siedlung Weißenburg in Münster. Das Besondere an dieser Siedlung und der gemeinsamen Übereinkunft ihrer Bewohnerinnen und Bewohner ist die Absicht und die vertragliche Vereinbarung, nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Siedlung autofrei zu leben. Autofrei leben heißt dabei, kein eigenes Auto oder anderes Kraftfahrzeug zu halten oder ständig verfügbar zu haben. Die Nutzung eines Stadtteilautos oder eines gelegentlich geliehenen Kraftfahrzeuges außerhalb der Siedlung ist nicht gemeint. Auch sind seltene Ausnahmefälle, insbesondere bei Eintritt einer besonderen Härte nach Einzug in die Siedlung nach Absprache möglich.
Autofreiheit nicht nur Verzicht, sondern auch Freiheit.
In unserer Gesellschaft wird in der Öffentlichkeit fast immer so getan, als ob alle Menschen mit Auto lebten. Dabei sind die negativen Folgen der automobilen Gesellschaft schon lange bekannt: Flächenfraß durch Straßen und Parkplätze, Vergiftung der Luft, Verkehrstote und -verletzte, Energie- und Ressourcenverbrauch durch die millionenfache Produktion von Autos, die dann doch meist nur stehen.

Besonders benachteiligt sind von dieser Automobilisierung der Gesellschaft die Kinder, die Alten und diejenigen, die sich gegen ein Auto entschieden haben, viele negativen Folgen aber dennoch mittragen müssen. Was in der Öffentlichkeit selten beachtet wird, ist die Tatsache, dass viele Menschen - gerade in Städten - ohne Auto leben; gar kein Auto besitzen möchten.
Insgesamt hat etwa ein Viertel der Haushalte Deutschlands (in großen Städten etwa 40%) kein Auto. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur. Ein Teil kann oder will sich die enormen Kosten eines Autos nicht leisten. Ein anderer Teil ist aufgrund körperlicher oder anderer Einschränkungen nicht in der Lage ein Auto zu benutzen. Wiederum andere haben sich bewusst gegen den Autobesitz entschieden und genießen diese Autofreiheit nicht als Einschränkung, sondern als Bereicherung ihres Lebens.
Egal, aus welchen Gründen die Menschen sich gegen ein Auto entschieden haben, sie beweisen tagtäglich, dass ein Leben ohne Auto nicht nur möglich ist, sondern seine eigene Lebensqualität durch diese Tatsache gewinnt. Sie präsentieren der Gesellschaft alltäglich, dass die Gleichung Freiheit=Autobesitz nicht gilt und eine demokratische Gesellschaft sich daher weniger einseitig auf die Autobesitzer ausrichten muss.

Die Idee der autofreien Siedlung Weißenburg
Um den Menschen, die sich nicht an der Automobilisierung der Gesellschaft beteiligen und damit auch nicht (im üblichen Maße) für ihre negativen Folgen verantwortlich sind, eine Alternative zu bieten, wurden autofreie Siedlungen geschaffen. Die autofreie Siedlung Weißenburg basiert also auf dem Gedanken, dass sich autofreie Menschen zusammentun, um die positiven Folgen ihrer Entscheidung auch zu spüren. Kinder können auf den Wegen spielen, Erwachsene werden nicht durch Abgase und Lärm belästigt, niemand muss Angst vor einem schweren Verkehrsunfall vor der Haustür haben.
Ein zweiter Gedanke ist der, dass der Zusammenschluss autofrei lebender Menschen gleiche Ansprüche und Bedürfnisse erzeugt. Wer ohne Kraftfahrzeug lebt und seine Mobilität zu Fuß, mit dem Fahrrad, dem Bus und gelegentlich mit Stadtteilauto erledigt, wird andere Bedürfnisse haben, z.B. an die Gebäudegestaltung und die Infrastruktur des Wohnumfeldes.
Der Unterschied zu anderen, sog. autoarmen Siedlungen ist der, dass wir nicht die negativen Folgen auf andere Abwälzen, indem wir unsere Autos woanders Parken oder andere Menschen trotzdem mit Abgasen, Lärm oder Gefährdung belästigen und bedrohen. Darum ist es uns auch wichtig, nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb der Siedlung autofrei zu sein. Die ganze Siedlung ist darauf angewiesen, dass sich die einzelnen Bewohner an die gemeinsame Abmachung halten und tatsächlich auf ein eigenes Auto (bzw. sonstiges Kraftfahrzeug) zu verzichten.

Sicherung der Autofreiheit als Angelegenheit der BewohnerInnen
Um diese gemeinsame Übereinkunft zu sichern ist einerseits eine hohe Eigenverantwortung der BewohnerInnen notwendig. Die gemeinsame Abmachung der Autofreiheit geht nicht nur den Einzelnen an. Eine Übertretung ist eine Belastung für die gesamte Siedlung und damit für die Nachbarn.
In Einzelfällen ist sicherlich mit einer Verletzung dieser gemeinsam aufgestellten und zugesagten Vereinbarung zu rechnen. Dann muss die nachbarschaftliche Schlichtungsstelle eingreifen. Damit es nicht zu Misstrauen kommt, muss das Einschalten der Schlichtungsstelle aber ein Vorletzter, der der Weiterleitung an die Wohngesellschaft zwecks rechtlicher Schritte ein absolut letzter Schritt sein. Der erste Schritt soll immer ein klärendes Gespräch unter Nachbarn sein, in dem die gemeinsame Verantwortung für die Siedlung, ihren Charakter und das von außen wahrnehmbare Bild betont wird.